Herr Schnauze

Ich befand mich Abseits der Zivilisation. Weit weg von Menschen in einem kleinen Haus im Wald. Hier hatte ich bereits einige Sommer verbracht. Es war der perfekte Ort um zu sich zu finden, um lange Spaziergänge zu unternehmen und um abzuschalten. Anders als in den letzten Jahren war ich jedoch nicht allein: Herr Schnauze, mein zweijähriger Golden Retriever Rüde begleitete mich erstmalig.

Ich hatte es bisher immer bewusst vermieden, Herr Schnauze mit auf meine einsamen Sommertouren zu nehmen. Gewiss, er war ein kluger und gehorsamer Hund. Der perfekte Begleiter. Er hörte aufs Wort und ich konnte mich jederzeit auf ihn verlassen. Doch Herr Schnauze hatte zugleich einen Einfluss auf mein Leben, den ich bis heute als angsteinflössend bezeichnen würde. Eins Vorweg: Ich bin weder abergläubig, noch besonders spirituell. Ich glaube nicht an Wiedergeburt und bin immun gegenüber monotheistischer Esoterik. In der Gegenwart von Herr Schnauze durchlebte ich jedoch wiederholt Visionen und Träume, deren Inhalt wahr wurden oder die mich in meinem Leben auf gleiche Weise prägten. Ich habe für diese Vorfälle bis heute keine plausible Erklärung und die Sommermonate im Wald waren für mich auch deshalb eine Erholung.

Dieser Sommer sollte jedoch anders werden. Eines Nachts träumte ich davon, verschiedene, teils sehr seltene Speisepilze im Wald zu finden. Der Traum war sehr reel und ich fand jeden(!) dieser Pilze innerhalb der nächsten Tage im Wald oder auf angrenzenden Feldern. Ich träumte von Begegnungen mit Menschen, von denen ich seit Jahren nichts gehört hatte und die mich kurz darauf online kontaktierten. Es war seltsam und bedrückend. Wohlwissend, dass ich während meines Aufenthalts im Wald stets extrem viel Träume versuchte ich es als normale Kuriositäten abzuhaken, doch das war es nicht, davon bin ich heute überzeugt.

Eines Nachts erfuhr ich wieder einen sehr reelen Traum. Es war wieder so reel, wie eine Vision. Es war ein schrecklicher Traum in dem Herr Schnauze sein Leben auf tragische Weise verlor. Ich wachte schweißgebadet auf und rang nach Luft. Mein erster Gedanke nachdem ich zu mir kam: "Wo ist Herr Schnauze?". Ich rief ihn wiederholt zu mir - doch er gab keinen Laut. Ich wurde panisch und durchsuchte das Haus - ohne Erfolg. Er musste sich draußen im Wald befinden. Draußen stürmte es. Ich bekleidete mich notdürftig und packte meine Taschenlampe um den Wald zu durchforsten. Es war stockdunkel und es wehten heftige Böen. So laut ich konnte rief ich nach ihm. Plötzlich, der Wind drehte und ich entnahm ein Lebenszeichen von Norden: ich hörte ihn wimmern.

Besorgt rannte ich in seine Richtung und tausende Gedanken gingen mir durch den Kopf: Warum musste ich ihn nur in den Wald mitgenommen haben, schließlich hat es weder mir noch ihm die erhoffte Erholung gebracht. Besorgt aber zugleich innerlich wütend und aufgebracht näherte ich mich und plötzlich knallte es laut - Tunnelblick - ein fiepen im Ohr und dann nichts mehr - nur noch schwarz. Das ist alles an was ich mich heute erinnere. Ich wachte 2 Tage später im Krankenhaus auf und erfuhr, dass ich von einem herunterfallenden Ast fast erschlagen wurde. Ich hatte jedoch wahnsinniges Glück im Unglück und konnte laut Angabe der Ärzte einen Notruf über mein Handy absenden, ansonsten hätte mich wohl niemand vermisst oder gefunden. Hieran habe ich selbst jedoch keine Erinnerungen mehr.

Von Herr Schnauze gab es nie wieder ein Lebenszeichen. Weder meine Retter noch irgendjemand anderes hatte ihn je wieder gesehen. Habe ich mir sein Wimmern im Wald nur eingebildet? Hätte ich ihn niemals mit in den Wald nehmen sollen? Diese Fragen beschäftigen mich noch heute... Herr Schnauze hatte in meinem Leben einen ganz besonderen Platz und verließ mich auf ebenso mysteriöse Weise wie er in seinen zwei Lebensjahren Einfluss auf mein Leben genommen hatte.


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