Der mit dem Hai tanzt

Schon lange deprimieren mich die deutschen Wintermonate mit ihren dunklen Tagen und tiefen Minusgraden. Deshalb versuche ich jede Wintersaison mindestens zwei Monate in wärmeren Gefilden mit viel Sonne zu verbringen. Als Freiberufler kann ich mir zwischen Projekten immer mal wieder freinehmen und dann in meiner Winterresidenz im Homeoffice arbeiten. Meistens zieht es mich in tropische Gefilde, aber nicht immer reicht das Ersparte für weite Flüge. Aus diesem Grund habe ich einen unvergesslichen Winter auf Sizilien verbracht, von Februar bis April. Die Insel liegt im Süden von Italien und komplementiert als Fußspitze die außergewöhnliche Form des mediterranen Staates. Aufgrund der südlichen Lage in der Nähe von Nordafrika, herrschen auf Sizilien zum Winterende bereits frühlingshaft warme Temperaturwerte, allerdings ist das Mittelmeer noch eisig kalt. Da ich aber gerne und ausgiebig im Meer schwimme, habe ich mir einen Neoprenanzug zum Baden mitgebracht.

Ich liebe das Mittelmeer schon seit meiner Kindheit, als ich mit meiner Familie das erste Mal auf Mallorca einen Sommerurlaub erlebt habe. Ich erinnere mich noch gut: den ganzen Tag schien die Sonne vom Himmel und das Wasser war angenehm warm. Dagegen gestaltet sich der Februar ganz anders in mediterranen Regionen, deshalb war ich sehr glücklich über meinen Neoprenanzug. Dank dem Neopren und meiner zügigen Schwimmweise wurde mir schnell innerlich warm und ich konnte lange im Wasser aushalten. Da ich das Mittelmeer schon lange als harmloses Gewässer kenne, habe ich mich von meinem sizilianischen Hausstrand aus jeden Tag etwas weiter hinaus gewagt. Im Gegensatz zu vielen tropischen Ozeanen ist mir - bis auf Quallen, die können gefährlich werden(!) - noch keine gefährliche Meereskreatur im Mittelmeer begegnet.

Bis zum verhängnisvollen Tag, an dem ich extrem weit heraus geschwommen bin. Ohne es zu bemerken, befand ich mich auf einmal zwischen einer Fischfarm mitten im Meer. Dafür werden Netze als Käfig gespannt und beherbergen unter Wasser eine Zucht an Nutztieren. Allerdings lockt das Fischfutter und der Geruch der Zuchtfische räuberische Jäger an, sodass ich schon bald von Delfinen umzingelt zwischen den Netzkäfigen herumtrieb. Die putzigen Meeressäuger sind sehr neugierig und haben einen ausgeprägten Spieltrieb, sie kamen mir richtig nahe und waren neugierig. Von einem Augenblick auf den anderen wichen die Delfine jedoch erschrocken zurück und waren verschwunden. Hatte ich sie verjagd?

Nicht wirklich. Mein Erstaunen angesichts der merkwürdigen Reaktion der Delfine wandelte sich direkt in Schrecken um, als ich den Grund für die abrupte Flucht erkannte. Ein riesiger Hai kam zu meinem Entsetzen auf die Fischfarm zu. Direkt kam Panik kam in mir auf. Mein Puls explodierte und das Adrenalin schoss mir durch die Adern! Gleichzeitig war ich perplex und fragte mich nur: "Ein Hai? Im Mittelmeer??" Ich erinnerte ich mich an meinen Tauchkurs in Australien, als uns der Tauchlehrer erklärt hat, was in dieser Situation das richtige Verhalten ist. Ich versuchte irgendwie Ruhe zu bewahren. Der Hai hielt Abstand und schwamm interessiert und in unmittelbarer Entfernung seine Kreise. Es kam mir vor, als seien wir zwei Boxer die sich im Ring tänzelnd auschecken. Dabei wusste ich, dass ich den Hai keinesfalls irritieren dürfe. Erneut erklingt die Stimme meines Tauchlehrers in meinen Ohr: "Bloß nicht panisch weg schwimmen, so löst ihr nur den Jagdinstinkt des Tieres aus. Dazu ist es maßgeblich, sich im Wasser in die Vertikale zu bringen und nur leicht mit den Füßen zu paddeln."

Notgedrungenermassen nahm ich die Herausforderung zum Tanz an: "Lets dance!" Ich paddelte also synchron zu seiner Flosse vertikal leicht mit Händen und Füßen, um nicht komplett im Mittelmeer zu versinken. Dabei behielt ich den Hai stets im Auge, um ihm zur Not mit einem gezielten Schlag auf die Schnauze zu treffen, was das Tier ebenfalls verwirren soll. Stets in größter Not erkannte ich eine Art Kajak-Bott, dass direkt in meine Richtung navigierte. Ich behielt meine Augen auf den Hai, der sich glücklicherweise nicht weiter näherte und wurde im nächsten Moment in das Boot gezerrt. Nun saß ich zitternd vor Angst einem blonden Hünen gegenüber, dessen Gesicht mit Sommersprossen übersät ist: "Da hast Du aber Glück gehabt, dass ich gerade gekommen bin, um die Netze der Fischfarm zu kontrollieren."

Mein heldenhafter Saisonarbeiter-Matrose spricht in einem breiten Plattdeutsch und freut sich diebisch: "Anscheinend war dir gar nicht bewusst, dass im Mittelmeer und speziell in der Straße von Sizilien auch Haie leben. Da die Raubfische jedoch eine Wassertemperatur von rund 15° Celsius bevorzugen, sind Begegnungen in den Sommermonaten extrem selten. Deswegen ist das Risiko im Winter deutlich größer, unerwarteterweise mit einem Hai zu schwimmen." Das ganze ist bis heute die krasseste und beängstigendste Erfahrung meines Lebens gewesen. Ich bin sicher, der Hai war nicht an einem in Neopren-gehüllten Lulatsch wie mir interessiert. Aber wer weiss, ich wäre auf jeden Fall eine einfache Beute gewesen!


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