Ausgleich

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Text hier schreiben soll. Ich habe immer gedacht "nein, sag es ihr nicht, das Thema ist beendet" oder "nein, sag es ihr nicht. Was ist wenn sie sich wegen des Briefes etwas antut. Dann bist DU Schuld daran" und "nein, sag es ihr nicht, du musst ja nicht unnötig dafür sorgen, dass es ihr schlecht geht".

Aber weißt du was? Das hier ist mehr als nötig. Das hier hätte ich schon vor 10 Jahren machen sollen. Das interessante an der Sache ist, dass ich, obwohl ich ein unglaublich beschissenes Leben hatte und mich eigentlich selbst erziehen musste, trotzdem ein so großes Herz habe, dass ich nach all dem, was du mir angetan hast, immer noch daran gedacht habe, dass ich niemand anderem weh tun will. Nicht mal dir, die es doch am meisten verdient hätte.

Jedoch denke ich da mittlerweile etwas anders. Es gab nie einen Ausgleich. Mal abgesehen davon, dass man das, was du mir angetan hast nie wieder gut machen kann. Du wurdest nie wirklich bestraft. Nicht von mir. Nicht von anderen. Nicht mal vom Gericht.

Ich denke mir manchmal, wenn ich bei der Gerichtsverhandlung dabei gewesen wäre, wäre es vielleicht anders gelaufen. Wenn der Richter mir in die Augen hätte sehen können, hätte er vielleicht anders entschieden.

An dem Tag, als ich von deinem Urteil erfahren habe, kam ich grade vom Judo. Beim Judo war ein Junge den ich toll fand, also hatte ich Wimperntusche aufgetragen. An diesem Tag habe ich nicht nur verstanden, dass das deutsche Justizsystem der letzte Dreck ist, sondern auch, dass wenn man sich schminkt und dann einen Nervenzusammenbruch hat, danach das ganze Gesicht schwarz von der Schminke ist.

Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt schon so viel Ungerechtigkeit erfahren müssen, aber das hat alles getoppt. Für das alles, was du mir angetan hast, für das alles, was mich kaputt macht, hast du grade mal 2 Jahre auf Bewährung bekommen. Und wenn wir mal ehrlich sind das ist NICHTS.

Als ich 16 war, las ich das erste Mal das Gerichtsurteil. Darin stand unter anderem: Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, sexueller Missbrauch Schutzbefohlener. Aber weißt du was? Das ist noch lange nicht alles.
Du bist Schuld, dass ich keine normale geschweige denn glückliche Kindheit hatte.

Du bist Schuld, dass ich bis ich 18 wurde nur hin und her geschoben wurde und nie einen Ort Zuhause nennen konnte.

Du bist Schuld, dass ich eine Posttraumatische Belastungsstörung habe und jahrelang Therapie machen musste und auch immer noch mache.

Du bist Schuld, dass ich kein normales Sexleben habe und nicht selten nach dem Sex anfange zu weinen und zu schreien.

Du bist für hunderte Albträume verantwortlich.

Du bist Schuld, dass ich, egal wie oft und wohin ich umziehe, immer einige Kartons unausgepackt stehen lasse, weil ein Teil von mir jedes Mal denkt, dass ich so wie so bald wieder umziehen muss.

Du bist Schuld, dass ich meistens zusammenzucke, sobald jemand die Hand hebt, auch wenn die Person sich nur strecken will.

Du bist Schuld. Du bist Schuld. Das habe ich mittlerweile verstanden.

Und versuch dich jetzt bitte nicht in deinem Kopf zu rechtfertigen. Mir ist vollkommen bewusst, dass du es auch nicht einfach hattest. Ich weiß, dass Oma dich regelmäßig verprügelt hat. Mir ist ebenfalls bewusst, dass da noch andere Dinge passiert sind.

Aber lass uns weiterhin ehrlich zu uns selbst sein. Das alles ist keine Entschuldigung. Das wird nie eine Entschuldigung sein. Du hättest dir Hilfe suchen können. Du hättest das alles nicht tun müssen. Du hättest deine kleine Tochter nicht täglich schlagen müssen. Du hättest deine kleine Tochter nicht missbrauchen müssen.

Nichts davon hätte passieren müssen, wenn du nur eine Sekunde über die Konsequenzen nachgedacht hättest. Aber das hast du nicht. Und darunter werde ich mein Leben lang leiden müssen. Und ich weiß, ich habe es schon oft gesagt, aber meiner Meinung nach kann man es nicht oft genug sagen. Du bist an all dem Schuld.

Und da kommen wir dann auch schon zu der einen Sache, die du mir immer beigebracht hast. Wenn man etwas falsch gemacht hat, dann wird man bestraft. Und dieser Text wird deine Strafe sein. Das ist meiner Meinung nach nicht mal annähernd genug, jedoch ist das die einzige Strafe die du jemals bekommen wirst.

Die einzige Strafe ist, dass du jetzt endlich weißt wie ich über dich denke. Du weißt jetzt, dass ich dich zwar nicht hasse, aber das auch nur, weil ich denke du bist diesen Hass nicht wert.

Und ich glaube die beiden schlimmsten Sachen werden für dich sein, dass du 1. immer wissen wirst, dass du mit deiner einzigen Tochter niemals wieder Kontakt haben wirst und 2. dass ich dich niemals als Mutter ansehen werde.


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