Satyana, dein Schicksal ist unser Erbe!

Vor drei Jahren hatte ich ein Volontariat in Indien begonnen. Meine Aufgabe war es zusammen mit einer NGO, Feldarbeiter in ländlichen Regionen zu unterstützen und den Menschen grundsätzlichen Zugang zu medizinischen Einrichtungen zu gewährleisten. Mehrmals im Monat unterstützten wir die Feldarbeiter tatkräftig und halfen bei der Ernte. Darüber hinaus betrieben eine lokale improvisierte Krankenstation im Umkreis der Dörfer.

Satyana war eines der Mädchen, das schwere Feldarbeit verrichten musste. Wir kannten sie bereits mehrere Wochen und verbrachten auch die Abende mit ihr. Sie war sehr gehorsam und hatte mit ihren 12 Jahren bereits grosse Ambitionen. Sie wollte später Ärztin werden und nutzte die Gelegenheit, sich bei jeder Gelegenheit über unsere medizinischen Möglichkeiten zu erkundigen. Fast jeden morgen vor der Feldarbeit besuchte Sie unsere 3 Kilometer entfernte Krankenstation. Sie wollte anderen Menschen helfen und gleichzeitig die Chance einer kostenfreien Bildungsmöglichkeit unbedingt ergreifen.

Eines Tages ist Satyana nicht wie erwartet zur Feldarbeit erschienen. Wir erkundigten uns bei einer Vorsteherin und erfuhren, dass es ihr nicht gut ginge und sie Nachts Fieber hatte. Wir waren besorgt und versicherten, dass wir sie Abends zu unserer medizinischen Station mitnehmen würden, sobald unsere Arbeit hier erledigt sei.

Es war gegen 16 Uhr, als wir das Feld verliessen. Schneller als gewohnt eilten wir über Umwege zu dem Dorf, in dem Satyana wohnte. Dort angekommen erfuhren wir, dass sie nicht dort sei. Unsere Kollegen hatten sie bereits abgeholt und nach Pune, der nächsten Metropole in ein Krankenhaus gebracht. Ohne mit unseren Kollegen gesprochen zu haben wussten wir, dass etwas ernstes passiert sein müsste. Da keiner der Dorfbewohner krankenversichert ist und grundsätzlich kaum Mittel zur Verfügung stehen, erfolgt ein Krankentransport in eine Klinik in der Regel nur in Ausnahmefällen.

Wir packten unsere Sachen machten uns auf den Weg zurück zu unserer Station, um zu erfahren was genau vorgefallen war. Als wir uns Satyanas Hütte näherten, hörten wir Schreie. Es war Satyanas Mutter. Dutzende Dorfbewohner befanden sich vor der Hütte. Uns wurde erklärt, wie schlimm es um Satyana stand. Sie hatte starke Schüttelkrämpfe und verlor im Laufe des Tages mehrmals das Bewusstsein. Keiner unserer Kollegen konnte genau sagen, was ihr zugestossen sei.

Es dauerte zwei Tage bis wir erfuhren, was genau vorgefallen ist. Satyanas Gehirn war von einer gehirnzerstörenden Amöbe ("Naegleria Fowleri.") befallen. Eine Infektion durch eine solche Amöbe ist sehr selten, aber die Todesrate liegt bei über 90%. Eine Infektion erfolgt in der Regel durch kontaminiertes Wasser, wobei der Parasit durch die Nase und den Riechnerv in das menschliche Gehirn eindringen.

Zu diesem Zeitpunkt wusste niemand, ob Satyana überhaupt eine Chance hat zu überleben. Wir wollten uns umgehend auf den Weg nach Pune machen, aber unsere Krankenstation war chronisch unterbesetzt. Wir mussten ausharren und vor Ort helfen, wohl wissend dass dies auch im Interesse von Satyana gewesen wäre. Telefonisch liessen wir unsere Genesungswünsche über einen der Krankenpfleger ausrichten. Uns wurde jedoch mitgeteilt, dass sie nicht ansprechbar sei.

Nach dem vierten Tag erfuhren wir, dass Satyana auf dem Weg nach Delhi in eine Spezialklinik verstorben ist. Der Parasit hatte mehrere Gehirnareale regelrecht aufgefressen und ihr Augenlicht genommen. Wie wir heute wissen, muss sie physisch wie psychisch extrem gelitten haben.

Wenn ich dem Aufenthalt in Indien für mich etwas abgewinnen kann, so ist es das Gefühl von tiefer Dankbarkeit und dem Willen, Menschen wie Satyana zu helfen und etwas an diejenigen zurück zu geben, die extrem widrigen Bedingungen ausgesetzt sind und trotz grosser Hoffnungen, Güte und Zielstrebigkeit kaum eine Möglichkeit haben ihrem Schicksal zu entrinnen.


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