Hungern, Essen und Erbrechen (Trigger-Warnung)

Ja ich war schon immer etwas mollig. Und ja ich habe lange Zeit aus emotionalen Gründen gegessen und das in großen Mengen. Ich war lange Zeit nicht zufrieden, hatte schon einige Diäten hinter mir mit Hochs und Tiefs. Und dann kam das neue Jahr und die neuen Vorsätze.

Ich wollte abnehmen, fühlte mich weder in meinem Körper noch in meinem Freundeskreis wirklich wohl und wollte zum Abi hin mein Leben auf den Kopf stellen, sodass ein kompletter Neustart ins Studium möglich war. Ich nahm mir vor weniger zu essen. Und mit weniger meine ich WENIGER. Also 450kcal.

Ohne eingebildet klingen zu wollen behaupte ich einfach mal ich sei nicht dumm. Ich wusste, dass eine Frau etwa um die 1600kcal essen kann und, dass eine Reduktion auf 450kcal immense Folgen haben kann. Aber wenn man einmal angefangen hat und bemerkt, dass man damit Erfolge erzielen kann, dann hört man ungern damit auf. Und man hört später noch weniger auf, weil man Angst vor den Jojo-Effekt hat, weil sein Metabolismus eingeschlafen ist.

Ich aß nicht mehr mit meiner Familie, ich trackte jede Kalorie, trieb jeden Tag Sport und tatsächlich vermisste ich Süßigkeiten, von denen ich jahrelang abhängig war, nicht. Ich fühlte mich gesund, und mit jedem Tag und mit jedem Pfund weniger fühlte ich mich gesünder. Ich rauchte nie, ich trank nie und aß selten. Ich begann mein Leben wirklich zu genießen und meinem Umfeld fiel das auf.

Meine Eltern waren die ersten. Sie lobten mich, spornten mich noch mehr an und waren von meinem Gemüsekonsum beeindruckt. Denn plötzlich aß ich Brokkoli, Zucchini und Blumenkohl, statt Pizza, Nudeln und Kartoffeln und jch verzichtete auf immer mehr. Doch das Lob fühlte sich nicht so gut an, wie es sich hatte anfühlen sollen. Ich wusste, was ich tat. Wie sehr ich mich kaputt machte, aber es war wie ein Rausch jeden morgen sich auf die Waage zu stellen und eine tiefere Zahl als gestern zusehen.

Dass ich meine Periode verlor störte mich nicht. Wer braucht die schon - sind doch nur unnötige Schmerzen, dachte ich. Nägel brachen, ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, war immer gereizt und meine Haare fielen mir büschelweise aus. wenn mein Gewicht zum Vortag gleichblieb oder gar zunahm war mein Tag gelaufen und ich versuchte alles um noch mehr Gewicht zu verlieren.

Und so mied ich weiterhin Kohlenhydrate und Fette. Suchte akribisch nach Rezepten die beides kaum enthielten. Und nach einiger Zeit entwickelte ich regelrechte Ängste. Ich fürchtete mich vor Kuchen und Schokolade, Nudeln und Reis, Brot und Eis bis hin zu Äpfeln, Bananen, Ananas und Mangos. Meine Ernährung bestand nur aus Mandeldrink, Kaffee und low carb Gemüse.

Wenn mich Leute gefragt hatten wie ich so schnell abnehmen konnte, dann antwortete ich mit: gesunde Ernähung und eine Portion Sport. Und das war gelogen. Meine Ernährung war nicht gesund, mein Sport exzessiv. Ich hatte mir sogar so ein Bauchmuskel-Stimulationsgerät (EMS) gekauft, das ich dann immer in der Schule unter der Kleidung trug. Ich habe viel abgenommen. Rund 30kg. Und ich war stolz. Doch dann kahmen Ferien und Verwandte besuchten uns.

Meine Mutter hatte mich am Vortag darum gebeten mich mit an den Frühstückstisch zu setzen und doch bitte auch ein Brötchen zu essen. Ich fühlte mich von ihr unter Druck gesetzt. Für sie war es nur ein Brötchen, aber für mich war es ein Feind. Ich ließ mich überreden und was soll ich sagen. Es hat gut geschmeckt. Zu gut. Denn am Tag darauf aß ich zwei, ich schämte mich für dieses zweite Brötchen, ich hatte Angst deshalb zuzunehmen. Und deshalb tat ist das, was mir eine Befreiung, von dem Gefühl direkt 3 kg schwerer zu sein, war. Ich ging auf die Toilette und steckte mir den Finger in den Hals.

Mittlerweile sind zwei Jahre vergangen, ich habe die Hälfte von dem Gewicht, das ich abgenommen habe wieder auf der Waage. Mach immernoch viel Sport und erbreche mindestens fünf mal die Woche. Nur reicht ein Finger nicht mehr, da muss schon die ganze Hand herhalten. Und dass es nicht mehr bei zwei Brötchen geblieben ist, sondern es regelrechte Fressorgien sind, bei denen ich inerhalb einer Stunde rund 15.000kcal in mich stopfe.

Meine Fressanfälle sind mir machmal wichtiger als meine Freunde. Erzählt habe ich nur den wenigsten von meinem Problem, vielleicht auch, weil die wenigsten mich verstehen. Ich bin seit einem Jahr in Therapie, geholfen hat das nicht wirklich, aber ich gebe noch nicht auf.

Ich hasse mich für diese eine Entscheidung, die ich getroffen hatte. Ich weiß, dass dieses Brötchen zuviel mich nicht umgebracht hätte, stattdessen schuppste mich mein Toillettengang aus der Anorexie in den Teufelskreis der Bulimie, dem ich nur manchmal für Monate entwischen konnte, bis ich wieder einen Rückfall hatte.

Und das Problem ist nicht fehlende Selbstkontrolle, sondern Stress in der Familie, in Beziehungen und Prüfungsdruck.

Andererseits würde ich mich sicherlich genauso hassen, hätte ich die letzten Jahre wieterhin nur 450 kcal gegessen, denn vermutlich wäre ich dann nicht mehr am Leben.


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